Wohin mit unfertigen Stories?

Es passiert den besten Scrum-Teams: am Ende eines Sprint konnte eine Story nicht vollständig im Sinne der Definition of Done abgeschlossen werden und es ergibt sich die Frage, wie mit der halb fertigen Lösung anfangen umgegangen werden soll.

Die kurze Antwort darauf ist sehr einfach: die Story gilt als nicht umgesetzt (in Scrum gibt es kein “halb fertig”), wird also auch nicht Bestandteil eines Release-Pakets, und wandert zurück in das Backlog. Dort wird sie behandelt wie jede andere Story auch, sie verliert in gewisser Weise also ihre Historie.

Dies hat jedoch eine Reihe von Implikationen, die für viele zunächst einmal sehr ungewohnt sind. Die betroffenen Teams bringen zumeist die folgenden Punkte an:

  • Die Story kann nicht einfach zurück in das Backlog, sie zu 95% abgeschlossen. Wir haben uns die die Punkte doch verdient. Zumindest aber die Punkte für die abgeschlossenen Arbeiten.
  • Wenn die Punkte der Story nicht in die Velocity eingehen sieht es so aus, als hätten wir in diesem Sprint einen Teil der Zeit nicht gearbeitet. Das wirft ein schlechtes Licht auf uns.
  • Da wir im nächsten Sprint die verbliebene Arbeit der Story schätzen, gehen uns Punkte in der Velocity verloren. Daher müssen wir sie jetzt schon einrechnen.

In diesen typischen Aussagen zeigen sich aber eine Reihe von Missverständnissen über Scrum. Daher sollte man sich einige Punkte vor Auge halten.

  • Die Velocity ist kein Time-Tracking-Instrument, sie dient nicht der externen Leistungskontrolle der Teams. Sie soll insbesondere dem Product Owner eine Indikation geben, welche Features bei den aktuellen Rahmenbedingungen realistischer Weise in den nächsten Sprints fertiggestellt werden können.
(Zu den Themen “Metriken in Scrum” und “Planung im Backlog” sind eigene Artikel geplant)
  • Im Scrum kommt es nicht darauf an wie viel Arbeit geleistet wurde, sondern welcher aktuelle Wert geschaffen wurde. Ziel der Teams ist es, möglichst viele Features in einem Sprint produktionsreif zu bekommen.
  • Mit jedem Sprintwechsel ist der Product Owner frei, die Priorität der Stories im Product-Backlog neu zu bewerten. Es kann also passieren, dass ein Feature das nur knapp nicht in Produktion gegangen ist dies auch niemals tun wird.

Wie also soll man mit nicht abgeschlossenen Stories nun umgehen?

Nicht abgeschlossene Stories werden vom Product Owner nicht abgenommen und wandern zurück in das Backlog. Ihre Story Points gehen nicht in die Velocity des abgeschlossenen Sprints ein. Die Story behält ihre Story Points, es wird nicht nur der Restaufwand neu geschätzt (es kann aber nötig werden, den Gesamtaufwand der Story auf Grund der Erfahrungen aus dem abgelaufenen Sprint neu zu schätzen).

Um die so entstehenden Fluktuationen in der Velocity richtig einzuordnen, wird zur Abschätzung der in den nächsten Sprints realisierbaren Features die durchschnittliche Velocity der letzten Sprints betrachtet – mindestens 3–4 Sprints sollten gemittelt werden.